Seit den frühen 90er Jahren steht die deutsche Fotografie im
Mittelpunkt der internationalen Gegenwartskunst. Die für Japan
konzipierte Ausstellung gibt mit Arbeiten von Bernd und Hilla Becher,
Andreas Gursky, Michael Schmidt, Thomas Demand und Wolfgang Tillmans
einen vielschichtigen Überblick über die stilbildenden Tendenzen
innerhalb der deutschen Fotokunst. Zugleich stellt sie erstmals in
Japan fünf junge, am Beginn ihrer künstlerischen Karriere stehende
Fotografen vor.

Bernd und Hilla Becher entwickelten seit den späten 50er Jahren die
dokumentarische Fotografie als eigene Kunstform. In präzisen,
sachlichen Bildern dokumentieren sie anonyme industrielle Zweckbauten,
die sie in Einzelbildern oder als Tableau präsentieren und als
Typologien einem vergleichenden Sehen zugänglich machen. Obwohl ihr
dokumentarischer Stil in der fotohistorischen Tradition verwurzelt ist,
vermochte sich dieser erst durch die Anerkennung der Bechers im Kontext
minimalistischer und konzeptueller Kunst als künstlerische
Ausdrucksform durchzusetzen.
Andreas Gursky, der wohl bekannteste Becher-Schüler, entwickelt in
seinen monumentalen Werken komplexe Panoramen der heutigen conditio
humana. Alltagsmotive, urbane Ansichten, die Waren- und Konsumwelt wie
Konzerte oder Sportveranstaltungen sind Ausgangspunkt seiner bis ins
Detail sorgfältig konzipierten Fotografien, in denen er aus
realistischen Fakten und eigenen Bildvorstellungen seine Visionen von
Wirklichkeit generiert.
Der Berliner Künstler Michael Schmidt ist wie die Bechers einem die
Wirklichkeit beschreibenden Ansatz verpflichtet, den er aber
nicht objektivierend gebraucht, sondern in eine radikal subjektive,
verstörende Bildsprache übersetzt. Schmidt´s Arbeiten, die
zu Serien, Tableaus und Installationen zusammengestellt sind, kreisen
um die deutsche Geschichte und Befindlichkeit im Fokus seiner
Heimatstadt Berlin.
Der Bilderkosmos des in England lebenden, deutschen Künstler Wolfgang
Tillmans liest sich wie ein visuelles Tagebuch der um 1970 geborenen
Generation. Tillmans löst sich vom Einzelbild und schafft aus einer
Vielzahl von Schnappschuss ähnlichen Aufnahmen raumgreifende
Installationen. Dabei verweigert er jede visuelle Hierarchisierung
zwischen scheinbar beiläufigen und bedeutungsgeladenen Motiven.
Thomas Demand fotografiert menschleere Innenräume. Es sind von ihm
gefertigte Modelle aus Pappe und Papier, die er nach gefundenen
Fotografien rekonstruiert und im Maßstab von 1:1 reproduziert. Sein
Ausgangsmaterial entstammt einem riesigen kollektiven Bildarchiv. Dem
ursprünglichen Kontext enthoben, in der Rekonstruktion verfremdet und
im Abzug monumentalisiert, verunsichern seine Werke stetig
Wahrnehmung und Gedächtnis des Betrachters.
Während sich in den 90er Jahren die Fotografie als künstlerische
Ausdrucksform endgültig durchsetzte, hat zugleich das fotografische
Medium durch die Digitalisierung und die Möglichkeit der nachträglichen
Bildbearbeitung am Computer die größte Veränderung seit seiner
Erfindung erfahren. Die Unterscheidung zwischen unverfälschtem
Dokument, Manipulation und Inszenierung scheint nicht mehr möglich zu
sein. Vielleicht ist sie in einer Zeit, die mehr dem Bild denn der
Wirklichkeit vertraut, sogar obsolet geworden? In den Arbeiten jüngerer
Künstler zeigt sich, dass die Digitalisierung nicht nur die Fotografie
selbst revolutioniert hat, sondern auch die Art und Weise, wie wir nun
auf die Wirklichkeit reagieren. Neuere Positionen werden mit Arbeiten
von Ricarda Roggan, Heidi Specker, Hans-Christian Schink, Loretta
Lux und Beate Gütschow vorgestellt.
Kuratoren: Dr. Inka Graeve Ingelmann, Pinakothek der Moderne, München,
in Kooperation mit Rei Masuda, Nationalmuseum für Moderne Kunst, Tokyo,
und Koichi Nakata, Marugame Genichiro-Inokuma Museum of Centemporary
Art.
Begleitend erscheint ein zweisprachiger Katalog in englisch-japanisch, Published by: The Yomiuri Shimbun 2005.
Eine Ausstellung im Rahmen von „Deutschland in Japan 2005/2006“,
initiiert und ermöglicht vom Goethe-Institut im Auftrag des Auswärtigen
Amtes.
Ausstellungsdaten:
Nationalmuseum für Moderne Kunst, Tokyo, 25.10.-18.12.05
Nationalmuseum für Moderne Kunst, Kyoto, 06.01.-12.02.06
Marugame Genichiro-Inokuma Museum of Contemporary Art, 12.03.-07.05.06
Pinakothek der Moderne
Barer Str. 29
80799 München
Telefon: + 49 89 23805-253
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